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Auf der Rennstrecke ist Resilienz gefragt

01.04.2024

Sie gilt als die Formel 1 der Hochschulen: die Formula Student. Worum es neben PS noch geht und wie man mit Rückschlägen umgeht, verrät das Bodensee Racing Team.

 

Jedes Jahr konstruiert und baut das Bodensee Racing Team (BRT) der HTWG Konstanz, das derzeit rund 90 studentische Mitglieder zählt, einen Rennwagen. Mit diesem Rennwagen tritt das BRT bei der Formula Student an, einem internationalen hochschulübergreifenden Konstruktionswettbewerb, bei dem sich Studententeams aus aller Welt in verschiedenen Disziplinen messen. Die Formula Student Germany, die in Deutschland auf dem Hockenheimring stattfindet und zu den jährlichen Highlights des Teams zählt, ist vergleichbar mit einem Grand Prix in der Formel 1.

Wer bei studentischem Motorsport an ein Seifenkistenrennen denkt, weit gefehlt! Das Elektroauto, mit dem das BRT in der letzten Saison an den Start ging, der Iltis 23E, ist knapp 3 Meter lang, wiegt rund 190 Kilogramm, besitzt einen Allradantrieb mit vier Motoren und wird bis zu 120km/h schnell.

Bei der Formula Student ist jedes Team für die gesamte Entwicklung des Rennwagens verantwortlich, von der Konzeption über die Konstruktion bis hin zur Fertigung. Bewertet werden neben der Leistungsfähigkeit des Fahrzeugs und seiner Renntauglichkeit auch Aspekte wie Innovation, Kostenanalyse, Businessplanung und Präsentationsfähigkeiten. Die BRT-Mitglieder kommen deshalb aus verschiedenen Fachrichtungen, darunter Ingenieurwissenschaften, Wirtschaft und Design.


Das BRT entwirft und fertigt ihren Rennwagen selbstständig. Hilfe von Professor*innen ist nicht erlaubt

Formula Student im Überblick

Die Formula Student ist ein mehrstufiger Wettbewerb, der aus verschiedenen Disziplinen besteht. Formula Student Events, wie die FSG, bestehen aus zwei Disziplinen: einer statischen und dynamischen.

Die statischen Disziplinen umfassen eine Businessplan Präsentation, eine vollständige Kostenaufstellung des Autos und die Bewertung des Autos in Hinsicht auf Entwicklungs- und Konstruktionsleistung durch das Team. Eine Jury bewertet Design, Kosten- und Businessplanpräsentationen. Es zählen die technische Innovation, die Wirtschaftlichkeit und die Präsentationsfähigkeiten der Teams.

Unter die dynamischen Disziplinen fällt alles, bei dem das Auto dann auch wirklich fährt. Darunter zählen:

- Beschleunigungsrennen: Messung der Beschleunigungsleistung des Fahrzeugs

- Autocross: Zeitmessung auf einem Parcours mit engen Kurven und vielen Hindernissen

- Skidpad: Fahren einer liegenden 8, wobei die Kurvenlage des Fahrzeuges bewertet wird   

- Endurancerennen: Ein langes Rundstreckenrennen, das die Zuverlässigkeit und Ausdauer des Fahrzeugs testet. Es ist die Königsdisziplin auf den Events, da das Auto an seine Belastungsgrenzen kommt

- Effizienzprüfung: Bewertung der Energieeffizienz des Rennwagens

Am Ende des Wettbewerbs werden die Ergebnisse aus den verschiedenen Disziplinen zusammengezählt und in einer Gesamtwertung veröffentlicht. Die Teams nehmen an einer Abschlussveranstaltung teil, bei der die Gewinner bekannt gegeben und Preise verliehen werden.

Den Startplatz muss man sich verdienen

Bevor es für das BRT und ihren Rennwagen auf die Rennstrecke gehen kann, stehen die Konzeptentwicklung und die Entwurfs- und Konzeptionsphase an. Die Teams setzen ihre Konzepte dabei in detaillierte Konstruktionspläne um. Dann werden die Fahrzeuge entwickelt, getestet und schließlich gebaut.

Ein Highlight für das BRT, bevor die Rennsaison startet, ist das jährliche Rollout. Beim Rollout wird das Auto zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert und markiert damit den ersten großen Meilenstein der Saison. Es ist ein besonderer Moment für das Team, da sich hier die harte Arbeit der vergangenen Monate in Form eines fertigen Autos auszeichnet. Durch das Rollout können die Teammitglieder auch Freunden und Unterstützern die Möglichkeit geben, das Auto noch vor den Events kennenzulernen und Fragen zu Technik und Team zu stellen. Auch markiert das Rollout den nächsten großen Schritt in der Saison: Das Testing, wo das Team das Auto auf Herz und Nieren prüft, um auf den Events maximale Punkte erreichen zu können.


Der Iltis 23 E wurde beim Rollout 2023 im Palmenhaus auf der Insel Mainau präsentiert

Ein fahrtüchtiges Fahrzeug zu haben reicht jedoch nicht aus, um einen Startplatz bei der Formula Student zu ergattern. Da es weniger Plätze auf den Events als Bewerbungen durch Teams gibt, werden die Plätze durch die Teilnahme an einem Quiz über technische und Reglementfragen vergeben. Die besten Teams in dem Quiz bekommen einen der heiß begehrten Plätze für das Rennevent.

Hat man sich für das Rennen qualifiziert, kann es losgehen. Naja, fast. Beim Event angekommen, steht zunächst die Inspektion an, bei der sichergestellt wird, dass das Fahrzeug den Wettbewerbsregeln entspricht und den Sicherheitsstandards genügt. Besteht das Fahrzeug diesen Test, können die Teams die statischen und dynamischen Prüfungen ablegen.

Im Durchschnitt nimmt das BRT an 3-4 Events pro Saison teil. „Es ist so ein gutes Gefühl, wenn sich die ganze harte Arbeit dann in Form der Events auszahlt“, sagt BRT-Mitglied Nico Mattes, der Informatik studiert.


Nico Mattes leitet das Team Driverless des BRT, das am autonomen Fahren arbeitet

Die Events sind für die Studierenden eine anstrengende, aber auch eine sehr schöne Zeit, da sie über die Jahre gewonnene Freunde auch aus anderen Teams wiedersehen und sich austauschen können. „Die Formula Student zeichnet ganz klar die Zusammenarbeit aus. Nicht nur im eigenen Team, sondern auch international mit anderen Teams“, sagt Jennifer Kylau.


Teammitglied Jennifer Kylau studiert im Bachelor Verfahrens und Umwelttechnik

Im Team werden Höhen und Tiefen bewältigt

Wie viele Stunden die Studierende in das BRT investieren, ist jedem persönlich überlassen. Die meisten besuchen das Büro und/oder die Werkstatt ca. 3-4 Mal in der Woche. Unterschiedliche Baugruppen fordern mehr Zeit als andere und es gibt Hochzeiten, in denen das Büro fast überquillt, weil alle gemeinsam die Deadline einhalten wollen. „Die Begeisterung für den Motorsport und seine Facetten, tragen wir alle in uns, jeder auf seine Weise. Deshalb ist es kein Problem, wenn Überstunden gemacht werden müssen. Wir sind ein Team, fast schon eine Familie, das gemeinsam an einem Strang zieht. Auch in den stressigen Phasen, lassen wir uns den Spaß nicht nehmen“, sagen die BRT-Mitglieder. Was sie motiviert? „Man lernt eine ganze Menge Dinge, die man im regulären Studium nicht lernt. Zudem knüpft man Freundschaften fürs Leben“, ergänzt Aike Brandstetter.


Aike Brandstetter studiert Elektro- und Informationstechnik

Die Saison 2023 war für das BRT von Höhen und Tiefen geprägt. Den Studierenden ist es gelungen, ein vollkommen neues Fahrzeugkonzept für den Elektro-Rennwagen in Form eines Allradantriebs zu implementieren und auch der Hochvoltakku wurde grundlegend neu überarbeitet. Dadurch wurde dieser leichter und energieeffizienter.

Durch die vollkommen neue Auslegung des Antriebsstranges konnte das BRT erstmals Radnabenmotoren mit topologieoptimierten Radträgern in das Konzept integrieren. Darauf sind die Studierenden besonders stolz.

Das Team musste aber auch mit Rückschlägen umgehen. Bei einem Event traten Probleme mit dem Wechselrichter des Fahrzeuges auf, welche erst zwischen den Events behoben werden konnten. Das hieß für den Rennstall vom Bodensee, dass sie das erste Event der vergangenen Saison, die Formula Student Austria auf dem Red Bull Ring, nicht fahren konnten. Auch die Fähigkeit, mit Widerständen umgehen zu können, zählt zu den Fähigkeiten, die die Studierenden im BRT lernen. Ihre Resilienz wird auf der Rennstrecke getestet, gefordert und gefördert.

Das BRT hat 2023 bewiesen, dass es sich im Team von Rückschlägen erholen kann. Im Anschluss an das Event konnte das Problem teilweise behoben werden, wodurch das BRT am zweiten Event, der Formula Student East (FSEast) auf dem Hungaroring in Ungarn, an einigen Disziplinen teilnehmen und somit erste dynamische Punkte der Saison einfahren konnte. Ebenfalls gelang es dem BRT auf der FSEast mit dem Businessplan den 4. Platz zu erreichen.

Auf dem letzten Event der Saison, der FSG auf dem Hockenheimring, gab es erneut wertvolle Punkte in den dynamischen und statischen Disziplinen, aufgrund eines Getriebeschadens während des Endurance musste der Run jedoch frühzeitig beendet werden.

„Gerade der Ausfall durch einen Getriebeschaden beim Endurancerennen auf der FSG war ein herber Rückschlag für uns, da wir die Performance des Autos über die vergangenen Events stetig verbessert hatten und uns sicher waren, die Königsdisziplin bei unserem letzten Event meistern zu können. Durch den Rückschlag haben wir aber auch wieder etwas gelernt und unser nächstes Fahrzeugkonzept entsprechend angepasst“, reflektiert das Team. „Generell sind wir mit der Leistung in der Saison 23 trotz einiger Rückschläge zufrieden, da wir mit den Neuentwicklungen wertvolle Grundbaustein für weitere Verbesserungen in den kommenden Saisons gelegt haben“, sagen die jungen Tüftler*innen.

Die intensive Zeit meistern die Studierenden beim BRT gemeinsam und sie motivieren sich gegenseitig. „Es macht einfach Spaß mit so viel tollen Leuten zusammen zu arbeiten, die genauso Technik begeistert sind, wie man selbst“, so Lena Eickhoff.


Lena Eickhoff studiert im Bachelor Elektro- und Informationstechnik

BRT schafft Zukunftsperspektiven

Im BRT bildet man sich mit jedem neuen Projekt, das man im Team umsetzt, weiter und lernt viele Dinge. „Die Zeit in der Formula Student ist etwas ganz Besonderes. Durch die Mitarbeit an einem so großen Projekt lernt man schon während des Studiums so viel Neues kennen und lernt viele Leute kennen, die das gleiche Interesse haben wie man selbst“, sagt Moritz Hartleitner.


Moritz Hartleitner studiert Wirtschaftsingenieurwesen Maschinenbau

Die Formula Student und ihre Disziplinen sind nach den Anforderungen der Industrie gestaltet. Man lernt die Themenbereiche, Arbeitsfelder und die Abläufe kennen und ist so bestens auf den Berufseinstieg vorbereitet. Die Mitgliedschaft bietet besonders große Vorteile für alle, die später in die Automobilindustrie oder den Motorsport wollen. „Es ist einfach eine geile Möglichkeit, das gelernte praktisch umzusetzen“, erzählt Leander Hermann.


Leander Hermann studiert ebenfalls Wirtschaftsingenieurwesen Maschinenbau

Unternehmen sehen durch Kontakte zum BRT eine Chance, junge Fachkräfte mit Erfahrung für das eigene Unternehmen zu gewinnen. Mit inzwischen über 90 Sponsoren steht man als Mitglied des BRT auch in Kontakt mit zahlreichen Industriepartnern aus großen Unternehmen in der Region oder international. Manche Unternehmen vergeben sogar Stellen für Bachelorarbeiten, Praktika oder Jobangebote explizit an Mitglieder von Formula Student Teams.

Das BRT ist eines von vielen interdisziplinären studentischen Projekten auf dem Campus, das den Studierenden der HTWG gute Möglichkeit bietet, um den eignen Horizont zu erweitern: Die Studierenden können sich ausprobieren, das Wissen aus der Vorlesung praktisch umsetzen und Neues aus den anderen Disziplinen lernen. Neben dem BRT gibt es z.B. auch das eLaketric Racing Team, das nicht mit dem Auto, sondern dem Emotorrad bei internationalen Wettbewerben an den Start geht. Die Projekte bieten den Student*innen Gelegenheit, ihre ingenieurtechnischen Fähigkeiten in der Praxis zu erproben, Erfahrungen im Teammanagement zu sammeln und sich mit Vertretern der Industrie zu vernetzen. Das fördert nicht nur technische, sondern auch unternehmerische, organisatorische und Team-Fähigkeiten. Damit positionieren sich die Studierenden der HTWG als regelrechte Traumfachkräfte für Industrie und Unternehmen in Deutschland, Europa und der Welt.